Sammlung Grässlin

Franz West & Hitparade – Werke aus der Sammlung

Den Auftakt zur HITPARADE macht im KUNSTRAUM GRÄSSLIN die künstlerische Position von Franz West, der mit zahlreichen Werken aus allen Schaffensphasen in der Sammlung Grässlin vertreten ist.


West beginnt seine künstlerische Laufbahn im Wien der 1970er Jahre. Seine Werke sind von der Einsicht getragen, dass jeglicher Absolutheitsanspruch einer vollkommenen, objektiven Erkenntnis der Realität, wie er in der Moderne noch postuliert wurde, nicht zu erreichen ist. Daraus resultierend zeigt sich seine bildhauerische Praxis als Konglomerat verschiedenster Einflüsse, in dessen Zentrum jedoch immer die menschliche Existenz sowie die Existenzbedingungen des Kunstwerks stehen. Inspiration schöpft der Künstler bereits in jungen Jahren vor allem aus der Philosophie und der Kunstgeschichte, aber auch aus der Literatur, der Linguistik sowie aus der Psychologie. Ist die Collage das Medium, das ihn fortwährend in seinem Schaffen begleitet, so kann man sein Gesamtwerk auch als eine Art Collage bezeichnen, in der sich die verschiedenen Gedankenansätze zu einem sehr eigenen, offen gehaltenen Ganzen zusammensetzen. Für den Rezipienten eröffnen die Werke des Künstlers immer wieder Spielräume für individuelle Assoziationen und Empfindungen, die Ambiguitäten von Beginn an mit einkalkulieren, wenn nicht geradezu voraussetzen, und so aufzeigen, dass Interpretationen immer auch vom Kontext und der individuellen Betrachtungsweise abhängig und somit variabel sind. 


Indem Franz West die Rezipientinnen und Rezipienten zum integralen Bestandteil seiner Werke erklärt, durch deren Anwesenheit und Interaktion sich diese erst komplettieren, erweitert er außerdem den Kunstbegriff auf radikale Weise und stellt das Konzept des autonom schaffenden Künstlers in Frage, der passive, in sich geschlossene Werke schafft. Das in der Ausstellung vertretene Werk Psyche (1987) legt Zeugnis von dieser Arbeitsweise ab. Das Werk besteht aus einem Tisch, an dessen Seiten Spiegel angebracht sind. In der Mitte der Tischplatte öffnet sich ein schwarzes Loch, das in die Tiefe führt. Zudem stehen zwei Stühle bereit, auf denen man sich niederlassen kann, um durch die Rundumansicht seiner selbst, mit dem eigenen „Ich“ konfrontiert zu werden. Denn wesentlich für Wests Kunst ist neben der Körperbezogenheit auch die Beschäftigung mit der menschlichen Psyche. 


Die verschiedenen Objekte wie Stühle, Lampen, Tische, Diwane oder auch Garderoben, die seit Mitte der 1980er Jahre entstehen, sind als „Gebrauchsobjekte“ konzipiert. Durch die Benutzung dieser Werke sollen die Sinneswahrnehmung der Realität, das Unterbewusstsein und somit auch wiederum das psychische Befinden des „Benutzers“ stimuliert und neue, individuelle Assoziationen und Erkenntnisse über die realitätskonstituierenden Elemente unseres menschlichen Daseins hervorgerufen werden. 

Parallel entstehen die sogenannten „legitimen Skulpturen“. Diese werden klassisch auf Sockeln oder Podesten präsentiert und treten auf rein visueller, assoziativer oder intellektueller Ebene mit dem Rezipienten in einen Dialog. Über die Jahre gewinnen sie an Größe und münden ab 1997 in den Außenskulpturen aus Aluminium, die mit den drei Sitzwusten (2000) auf dem Vorplatz des KUNSTRAUM GRÄSSLIN ebenfalls Teil der Ausstellung sind. 


Die Installation Wegener Räume 2/6–5/6 (1988), die zu den Schlüsselwerken von Franz West gehört, leitet dessen Praxis ein, architektonische Strukturen zur Präsentation seiner Werke zu gestalten und innerhalb derer neue und ältere Arbeiten miteinander zu kombinieren. Grundlegend für die Entstehung der Wegener Räume 2/6–5/6 war eine Wiederbegegnung mit dem Galeristen Jürgen Wegner, dem West Ende der 1970er Jahre im Rahmen seiner ersten Ausstellung in Deutschland einige Papierarbeiten überlassen hatte. Diese tauschte er wieder zurück, um sie mit aktuellen Exponaten – unter anderen mit vier „legitimen Skulpturen“ – in den Wegener Räumen 2/6–5/6 zu installieren. Durch Überkreuzung zweier Wände schuf West vier voneinander abgetrennte Kompartimente, in denen er jeweils ein Sitzobjekt vor eine Skulptur platzierte und mit einer Papierarbeit aus den 1970er Jahren kombinierte. Teil der Installation ist außerdem ein Text von Ferdinand Schmatz, der die Nachnamen des Galeristen Jürgen Wegner und des Polarforschers Alfred Wegener als Ausgangspunkt nahm, um auf der Assoziationsebene Verbindungen zwischen Wegeners Kontinentalverschiebungstheorie und der in den Wegener Räumen 2/6– 5/6 zusammengestellten, zeitlich „verschobenen“ Arbeiten zu schaffen. Hier zeigt sich exemplarisch, wie Franz West mit Hilfe von Texten immer wieder auf die Verschiebungen, Ungenauigkeiten und Ambivalenzen aufmerksam macht, die aus der Relativität von Sprache resultieren. 

Unter dem Titel HITPARADE werden in den RÄUMEN FÜR KUNST Werke verschiedener Künstlerinnen und Künstler aus der Sammlung Grässlin präsentiert. Wie der Titel vermuten lässt, ist es aber keine Hitparade, die lediglich den Kunstmarkt oder den Kunstbetrieb als Maßstab nimmt. Viel eher ist die Zusammenstellung der in der Ausstellung vertretenen Werke eine subjektive Auswahl der drei Sammlerinnen. Denn von Beginn an hat sich die Sammlung Grässlin nicht nach dem Mainstream gerichtet, sondern Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern zusammengetragen, die sich gegen die bestehenden künstlerischen und gesellschaftlichen Konventionen gerichtet, sie in Frage gestellt und dadurch erweitert und verändert haben. Im Laufe der Jahre hat sich jedoch gezeigt, dass eben die Werke von Künstlern wie Günther Förg, Martin Kippenberger, Meuser, Albert Oehlen und Markus Oehlen, deren Qualität und künstlerischer Gehalt in den 1980er Jahren oft genug in Frage gestellt wurde, Eingang in die Kunstgeschichte gefunden haben. 

Die spitzfindigen, banalen und allzu oft auch mit Sarkasmus und (schwarzem) Humor durchtränkten Werke der 1980er Jahre sind in den RÄUMEN FÜR KUNST zahlreich vertreten. Darunter befinden sich Schlüsselwerke, wie beispielsweise die Familie Hunger (1985) von Martin Kippenberger, der Bär mit Auszeichnung (1997), eines der mittlerweile zu Ikonen gewordenen grauen Bilder von Albert Oehlen, oder aber der legendäre Fragentopf (1984) von Fischli & Weiss. Diese inhaltlich geprägten Arbeiten treffen auf Exponate von Künstlern, die in den 1980er Jahren eher einen konzeptuellen Ansatz verfolgten. Dazu zählt Günther Förg, der die Malerei, die Bildhauerei und die Fotografie nutzte, um die Errungenschaften der Moderne und Postmoderne Revue passieren zu lassen oder Christopher Williams, der mit Hilfe der Fotografie die Wirkkraft des Bildes in der spätkapitalistischen Gesellschaft des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts untersucht und analysiert. 


Insbesondere die künstlerische Praxis von Christopher Williams kann als Bindeglied zwischen den konzeptuellen Werken der 1980er Jahre und den kontextbezogenen Ansätzen der 1990er Jahre gesehen werden. Denn mit Michael Krebber, Tobias Rehberger oder Heimo Zobernig sind in der Ausstellung auch Künstler vertreten, die sich in den 1990er Jahren vordergründig den sozialen, kulturellen, formalen und ideologischen Kontexten widmeten, in denen das System Kunst funktioniert und operiert und innerhalb derer Kunst produziert, präsentiert und rezipiert wird. 


Anhand der in der Ausstellung vertretenen Werke von Georg Baselitz und Imi Knoebel lassen sich die beiden Entwicklungslinien, das expressiv Inhaltliche und das Konzeptuelle, bei denen die Künstler der nachfolgenden Generationen ansetzen, bis in die 1960er und 1970er Jahre zurückverfolgen.


Im Plenarsaal des Rathauses und in zahlreichen Schaufenstern der RÄUME FÜR KUNST hat mit Julian Heuser, Rachel von Morgenstern, Julian Turner, Alicia Viebrock und Sebastian Volz zudem die jüngste Künstlergeneration der Sammlung Grässlin ihren großen Auftritt, die sich an der gesamten Palette formaler und medialer Möglichkeiten bedient, um ihre künstlerischen Visionen zu verwirklichen. Hier treffen die Besucherinnen und Besucher sowohl auf die abstrakten Malereien von Julian Heuser und Rachel von Morgenstern als auch auf die figurativen Bilder von Sebastian Volz oder die Installation House of Flowers (2019) von Julian Turner, ein neuinterpretierter Nachbau des Mausoleums des jugoslawischen Diktators Josip Broz Tito. Somit wagt die Sammlung Grässlin mit der Ausstellung HITPARADE – WERKE AUS DER SAMMLUNG auch einen Ausblick darauf, was die Hits von morgen sein könnten.

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